Vor der Katastrophe

Dieser Text beschreibt die erste Phase des Verlaufes einer Katastrophe.

Autor: Günther Zier, Psychologe u. Feuerwehrmann

Inhalt:

1. Warnung vor der Katastrophe

Stress und Angst

2. Bedrohung

Reaktionen auf die Bedrohung

Warnsignale

Aufmerksamkeit der bedrohten Personen

 

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Die Phasen vor der Katastrophe

1. Warnung und Alarm

Die Menschen konnten bisher ihr gewohntes Leben weiterführen. Aber das Gefühl einer möglichen Gefahr breitet sich aus und irritiert die Menschen.
Fernsehen, Radio, Internet und auch die Zeitungen warnen vor der herannahenden Katastrophe. Zum Beispiel berichten schon Tage vor einem Sturm die Wetterstationen in ihren Prognosen von einer herannahenden Sturmfront. Oder ein anderes Beispiel: Tagelange, heftige Regenfälle lassen alle Flüsse anschwellen, die Fachleute haben schon aufgrund des Regens errechnet, dass in Kürze die Flüsse über die Ufer treten und das Land überschwemmen werden.

Ähnliches ist auch vor einem Krieg zu beobachten. Die Nachrichten melden sehr oft auffallend große Truppenaufmärsche an den Grenzen. Im eigenen Land ist das Heer unterwegs und viele Soldaten suchen ihre Dienststellen auf – das ganze Land ist in Bewegung und Unruhe. Vor einem Krieg sind möglicherweise auch die Zeitungen, Fernsehen und Internet voll mit Berichten über Grenzverletzungen und Übergriffen von feindlichen Kampfgruppen. Kein Krieg kann still und heimlich, ohne Vorboten, begonnen werden.

In dieser Phase beginnen die Menschen sich gegen das bevorstehende Unglück zu rüsten: Im engsten Kreis der Familie wird besprochen, wie man am besten der Gefahr begegnen könnte: Was ist der beste Schutz gegen das Hochwasser? Wie kann Hab und Gut vor einem drohenden Sturm geschützt werden? Oder ist es besser, das eigene Wohngebiet zu verlassen?

Diese Periode ist gewöhnlich durch erhöhte Angst und wachsende Spannung gekennzeichnet. Trotzdem gehen die meisten Menschen in ihren Alltagsbeschäftigungen weiter. Allerdings werden zusätzliche Beobachtungen gemacht: Die Regenmesser werden genau abgelesen und die stündlichen Regenmengen festgehalten. Auch das Barometer wird genau beobachtet, denn es könnte die Sturmfront ankündigen. Es wird auch versucht, regelmäßig die neuesten Nachrichten zu sehen. Die Hilfsorganisationen in dem betroffenen Gebiet prüfen ihr Vorräte und Einsatzgeräte.  

Die Menschen ergreifen auch konkrete Vorsichtsmaßnahmen: Sie legen Vorräte an, sichern ihre Wertgegenstände, suchen ihre wichtigsten Dokumente zusammen und packen die Koffer für den Notfall. Einige Menschen werden sich möglicherweise noch erinnern, wie das letzte Hochwasser kam (oder ähnliche schlimme Ereignisse) und sie innerhalb kürzester Zeit ihre Häuser verlassen mussten.

In dieser Phase der Warnung sind die meisten Bewohner des gefährdeten Gebietes noch nicht bereit, alles stehen und liegen zu lassen und einfach wegzulaufen.

Die Mehrheit versucht, ihre Angst durch gewollte Gelassenheit und Optimismus aufzufangen. Denn die Gefahr liegt ja bisher nur im Bereich des Möglichen und Wahrscheinlichen. Es könnte durchaus sein, dass der Regen aufhört und der Wasserstand des Flusses wieder sinkt, oder die aufziehende Sturmfront sich doch noch eine andere Richtung sucht.

Es gibt allerdings auch andere Menschen, die in extremer Weise reagieren:

Die Einen ergeben sich völlig unbeherrscht ihrem Schrecken und flüchten.

Die Anderen leugnen vollkommen die Gefahr und / oder halten die Warnungen für Lügen. Diese Menschen denken oft: „Was soll uns schon passieren“, „Uns kann überhaupt nichts passieren“.

Stress als Vorbereitung auf das Kommende

Die realistischen und begründeten Ängste erzeugen Stress. Dieser bewirkt erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber der Umgebung. Die Wahrnehmungsfähigkeit wird schärfer. Eventuell vorhandenen Vorzeichen der Zerstörung werden genau wahrgenommen.

Der Stress in dieser Phase wird als „gesunder Stress“ bezeichnet.
Er ist in dieser Phase notwendig, um die Menschen darauf vorzubereiten gegen die Katastrophe Widerstand zu leisten und mit ihr irgendwie fertig werden zu können. Innere Stressfunktionen stellen den Menschen zusätzliche Kräfte zur Verfügung. Link: Stress

In dieser Phase ist richtiges Verhalten gefragt: Sich auf das Kommende vorzubereiten und auf das Schlimmste gefasst zu sein. Ein „mittleres“ Maß an Angst und einige Erfahrungen im Umgang mit gefährlichen Situationen fördert das richtige Verhalten vor der kommenden Katastrophe.

2. Bedrohung

Diese Phase beginnt, wenn die Gefahr unmittelbar vorhanden und unausweichlich ist. Der Sturm hat begonnen, oder der Fluss ist weit über die Ufer getreten und das Wasser beginnt schon in den Keller zu sickern.

Die Phase der Bedrohung überschneidet sich sehr häufig mit den Warnungen vor dem Unheil. Es kommt sehr oft vor, dass in den Nachrichten noch die Sturmwarnung läuft und der Sturm hat längst seine erste Zerstörung begonnen. Das liegt in der Natur der Sache, denn die Warnungen werden weit weg vom eigentlichen Ort der Katastrophe produziert und ausgestrahlt. Außerdem will man die bedrohten Menschen so lange es geht vor dem Hereinbrechen warnen.

Jetzt ist es vollkommen klar und mit nichts mehr abzuwenden: „Es kann und wird uns geschehen“, geht durch die betroffenen Bevölkerung.

Das Gefühl der Bedrohung kann verschieden wahrgenommen werden. Es kann in seiner Dauer variieren und die Menschen können es in verschiedener Weise bemerken:

Der Eine sieht ständig die Bedrohung, diese steht wie ein Berg vor ihnen. Unabwendbar und immer vor Augen kommt das Unheil näher.

Der Andere erfährt die Bedrohung wie Wellen: Es gibt Zeiten, in denen die Bedrohung kaum eine Rolle spielt. Aber kurze Zeit später wird ihnen die Bedrohung intensiv bewusst und erzeugt starke Ängste.

Reaktionen auf die Bedrohung

Menschen reagieren sehr verschieden, wenn es darum geht, mit dem bevorstehenden Unheil fertig zu werden:

Manche flüchten an einen „sicheren“ Ort, andere geraten in Panik und laufen im Kreis. Einige verstecken den Kopf unter der Bettdecke und halten den Atem an. (- was keine sinnvolle Reaktion auf eine Bedrohung ist)

Die Familienmitglieder versammeln sich, die Eltern schützen ihre Kinder.

In dieser Phase ist das Handeln, die Tätigkeit, bzw. die Bewegung wichtig. Es ist fast gleichgültig, WAS die Menschen tun – die Tätigkeit, das „Handeln“ schützt sie vor der Hilflosigkeit. Es entsteht der Eindruck „etwas“ gegen das Unglück tun zu können. Letztendlich möchte man doch alles unternehmen, um das Unheil abzuwehren. Am schwierigsten auszuhalten ist das Unheil, wenn man einfach tatenlos auf das Hereinbrechen des Unglücks warten muss. Eine gefestigte, innere Hilflosigkeit ist wie eine Lähmung und hindert die Menschen, nach durchlebter Katastrophe ihren Lebensbereich aufzuräumen.

 

Warnungen vor dem drohenden Unheil

Die meisten Katastrophen brechen nicht vollkommen überraschend herein. Sondern es gibt ein Vorwarnzeit. Allerdings kann die Vorwarnzeit sehr kurz sein. Von wenigen Minuten (wie z. B.  einem Vulkanausbruch) oder etwa ¼ Stunde (z. B. Zunami nach dem Erdbeben in Japan, März 2011) bis zu längeren Zeiträumen wie bei Kriegsereignissen.

Diese Zeit zwischen der Kenntnis der Vorboten und dem sicheren Auftreten des Katastrophen-Schlages kann man für Vorwarnungen nützen. Dabei geht es vor allem, möglichst schnell die Betroffenen zu erreichen und zu sinnvollen Handlungen zu bewegen. Die meisten Betroffenen müssen ihre laufende Tätigkeit abbrechen, ihre Aufmerksamkeit den Nachrichten zuwenden und dann dementsprechend zu handeln. (flüchten, Schutzräume aufsuchen, etc.)

Warnsysteme

Spätestens bei der Erkenntnis, dass ein schreckliches Unheil hereinbrechen wird,  ist es von höchster Wichtigkeit, ein offizielles Warnsystem zu errichten. Meist sind schon Signale der Feuerwehren und Zivilschutzorganisationen definiert. Sehr oft wird in den Nachrichten berichtet und immer wieder wiederholt, wie die Bevölkerung gewarnt wird. Zum Beispiel wird in Österreich mit einem 3 Minuten langen Dauerton der Feuerwehrsirenen unmittelbar vor dem Hereinbrechen einer Flut gewarnt. Trotzdem gibt es Menschen in den gefährdeten Gebieten, die beim Ertönen des Alarmsignals nicht wissen, was dies bedeutet. Das Heulen der Sirene wird daher nicht richtig interpretieren.

Beispiel aus dem Kamptalhochwasser 2002: Manche Betroffenen ignorierten das Heulen der Sirene, oder hörten sie nicht. Daher wurden sie von der Flutwelle der Donau ahnungslos überrascht. (Beleg: Eigene Einsatzberichte aus dem Hochwassereinsatz 2002 im Kamptal)

Eindeutige, glaubhafte Warnsignale

Alle Warnungen vor dem drohenden Unheil müssen eindeutig sein. Selbstverständlich ist auch eine Objektivität gefordert: Die Warnungen dürfen niemals verfälscht sein und das Unheil irgendwie verniedlichen. Eine Beschönigung ist ohnehin kaum möglich. Hier ist Sachlichkeit gefragt.

Besonders wichtig ist die Glaubhaftigkeit von Warnungen. Genau in diesem Punkt haben es die Massenmedien sehr schwer. Nicht weil diese Nachrichten absichtlich irgendwie verzerrt werden, sondern weil sie im Informationsstrom der Flimmermedien untergehen könnten. Daher müssen sich Warnungen vor dem drohenden Unheil von den anderen Sendungen, wie Seifenopern, Filme oder Reportagen deutlich unterscheiden:

Warnungen im Fernsehen

Das Fernsehen mit seinen besonderen Nachrichtensendern ist als Medium zur Übermittlung von Warnungen besonders wichtig. Mit den Nachrichten sollen die gefährdeten Personen informiert werden und zu den richtigen Entscheidungen hingeführt werden.

„’Wozu sollen Nachrichten dienen? Dass man sich nach ihnen richtet. Sie sollen dem Empfänger helfen, die gesellschaft­liche Wirklichkeit zu verstehen, sei­ne Interessen zu erkennen und rich­tige Entscheidungen zu treffen’, schreibt die Presseabteilung des ZDF." zitiert in:  Grabowski-Gellert, Joachim: (1985), 'Wie Nachrichten seriös wirken', Psychologie Heute, Jahrgang 1985, Nr.11. Seite 8

Diese Nachrichten müssen vor allem objektiv und glaubwürdig sein. Die nonverbale Kommunikation kann die Glaubwürdigkeit von Nachrichten wesentlich stützen:

"Dr. Winterhoff-Spurk von der Universität Mannheim beschreibt nun, [...] dass das Nonverbale einen gewichtigen, bedeutungstragenden und -modifi­zierenden Beitrag zu kommunikati­ven Handlungen darstellt und ebenso Symbol-, Symptom und Si­gnalfunktion tragen kann (SEMITICA7(3), 1985)." Zitiert in: Grabowski-Gellert, Joachim: (1985), 'Wie Nachrichten seriös wirken', Psychologie Heute, Jahrgang 1985, Nr.11 Seite 8

Wie können den Nachrichtensprecher den Nachrichten und Warnungen vor kommenden Katastrophen Glaubwürdigkeit und Objektivität zu vermitteln?

"Das erfordert ein größtmög­liches Maß an Objektivität. Wäh­rend die Nachrichtentexte ausge­wogen auf dem Blatt stehen, müs­sen die Sprecher Tonfall, Mimik und Blickverhalten möglichst so ge­stalten, das Ausdrucks- und Apellfunktion der Äußerungen in den Hintergrund rücken und manipu­lierende Akzente - etwa durch iro­nisierende Betonung - vermieden werden. Mit Hilfe ihrer dunklen, sonoren Stimmen, eines wenig akzentuierten, beschleunigten Sprechstils und weitgehend redu­zierter Mimik gelingt dies den Nachrichtensprechern auch: sie werden als seriös, objektiv, glaub­würdig, neutral, ehrlich und sympa­thisch empfunden." Grabowski-Gellert, Joachim: (1985), 'Wie Nachrichten seriös wirken', Psychologie Heute, Jahrgang 1985, Nr.11 Seite 8

 

Wie wird vor Katastrophen gewarnt? Welche Medien? Wie kann die Bevölkerung wirksam erreicht werden?

Warnungen werden sehr leicht ignoriert - besonders wenn im Text von „geringer Wahrscheinlichkeit“ oder „möglicherweise“ berichtet wird. Auch stumpfen die Menschen ab, wenn die gleichen Warnungen über lange Zeit hinweg immer und immer wieder durchgegeben wird.

Wie kann man die Aufmerksamkeit der Betroffenen gewinnen:

  • knapp und prägnant gehaltenen Text

  • die Gefahr steht unmittelbar bevor,

  • Die Gefahr wird mit großer Wahrscheinlichkeit eintreten.

Wenn diese Nachricht mehrmals und auf vielen Kanälen gleichzeitig gesendet wird, werden wahrscheinlich alle Menschen in den betroffenen Gebieten die Nachricht wahrnehmen.

Höchstwahrscheinlich werden dann Abwehrmaßnahmen ergriffen und / oder der Gefahrenbereich verlassen. Das funktioniert besonders gut, wenn es entsprechende Vorwarnungen mit prägnanten Informationen gegeben hat. Ohne diese kann es passieren, dass viele Menschen, diesen akuten Alarm nicht für bare Münze nehmen und nicht glauben, dass jetzt eine akute Gefahr besteht. Zu oft wurden die Menschen früher von Probealarmen irritiert. „Was? Das soll jetzt ein ‚richtiger’ Alarm sein? Wieso jetzt?“, hört man manche Menschen.

Falscher Alarm erhöht die Wachsamkeit nur für kurze Zeit, aber dann verliert er schnell seine Wirkung.

Die Warnsignale müssen in eindeutiger und vollständiger Weise gegeben werden.

Ist das Signal uneindeutig oder unvollständig, so reagieren die Menschen erfahrungsgemäß so, dass sie eigene Deutungen dafür entwickeln. Und die können sogar in die vollkommen entgegengesetzte Richtig gehen: Z. B. wurde der 3-minütige Dauerton nicht als Flutwarnung interpretiert, weil nicht die volle Länge des Signals gehört wurde. Zu Beginn des Sirenensignals arbeitete der Mann mit einer Bohrmaschine im Haus und konnte deshalb den Dauerton der Sirene nicht wahrnehmen. Er hörte nur ihr Ende und interpretierte dies als „Entwarnung“. Sorglos arbeitete der Mann weiter, bis plötzlich die Flutwelle in sein Haus schoss. (Mag. Günther Zier: Arbeitsbericht zur Krisenintervention während des Kamptalhochwassers 2002)

Häufigkeiten der Warnungen

Die offiziellen Ankündigungen brauchen eine hohe Aufmerksamkeit der Bevölkerung, um zu den Betroffenen durchzukommen. Wovon hängt es ab, ob die Bewohner diese Meldungen mit hoher Aufmerksamkeit verfolgen und zeitgereicht wahrnehmen?

Große Häufigkeit

Zunächst ist einmal die Häufigkeit ein wichtiger Faktor. Je öfter jemand die Warnungen hört um so „wahrer“ werden sie für die Betroffenen.

Wichtigkeit in den Medien

Die andere Einflussgröße ist die Wichtigkeit des Mediums, mit der die Warnungen verbreitet werden. TV ist wichtiger als Radio. Die Rolle des Internets ist zwiespältig, weil es sehr viele Leute gibt, die das Internet nicht kennen. Und Zeitungen sind zu träge, um Warnungen schnell genug zu verbreiten. Aus eigenen Erfahrungen sind häufige Lautsprecherdurchsagen der eigenen Feuerwehr sehr wirkungsvoll. (Zier, G.: Einsatzberichte des nö Akutteams beim Hochwasser der March, 2004)

Verwendete Literatur:

GOLAN, Naomi: Krisenintervention (Treatment in crisis situations, dt.). Strategien psychosozialer Hilfen. Freiburg Br: Lambertus-Verlag, 1983. - 3784102344, Seite 130- 157.

Grabowski-Gellert, Joachim: (1985), 'Wie Nachrichten seriös wirken', Psychologie Heute, Jahrgang 1985, Nr.11, Seiten 8.

Zier, Günther: 2002, unveröffentlichte Einsatzberichte zu den Einsätzen des Psychosozialen Akutteams Niederösterreich.

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Letzte Aktualisierung: 24.03.2011 13:33