Der Katastrophen-Schlag
Dieser Text beschreibt das eigentliche Einwirken der zerstörerischen Kräfte
der Katastrophe.
Autor: Günther Zier, Psychologe u. Feuerwehrmann
Inhalt
3. zerstörerische Kraft der Katastrophe beginnt
Isolation der
Betroffenen
Katastrophensyndrom Bricht
eine Panik aus?
Gegenseitige Hilfe
Führungspersonen
 Die Periode des Ausbruchs und Wüten der Katastrophe
In dieser Phase beginnt die
Zerstörung: Das Wasser überflutet Häuser, oder der Sturm tobt die ersten
Minuten über das Land. Im Kriegsfall fallen die ersten Bomben oder Granaten
auf die Häuser.
3. Die zerstörerische Kraft der Katastrophe beginnt
Ausbruch oder Isolation
Die Menschen drängen sich aneinander,
suchen Schutz vor Tod und Zerstörung. In der Gemeinschaft kann sich der
Einzelne besser vor dem Unheil schützen.
Es gibt Tote und Verletzte. Auch
materielle Verluste und Beschädigungen. Häuser stürzen ein, Straßen werden
aufgerissen, Autos durch die Luft gewirbelt.
Jetzt konzentrieren sich Alle darauf,
die eigene Person zu schützen und dem hereingebrochenen Unheil zu
widerstehen, soweit dies die Situation zulässt.
Die menschliche Gemeinschaft und ihr
System löst sich auf, die innere und äußere Kommunikation ist zerstört;
einzelne Menschen und ganze Gruppen sind mehr oder weniger isoliert. Die
meisten Menschen befinden sich in kleinen Gruppen an schützenden Orten und
versuchen da, die Zerstörungswut der Katastrophe zu überstehen.
Die gewohnte Struktur der
Gemeinschaft zerbricht, es gibt sie nicht mehr. Das bisher funktionierende
Zusammenspiel der Menschen ist unmöglich. Chaos breitet sich aus, weil viele
Kontroll- und Steuerungsmechanismen der menschlichen Gemeinschaft von der
Katastrophe zerstört wurden.
In dieser Phase glauben die meisten
Menschen, nur sie alleine wurden von der Katastrophe erwischt - andere
Menschen sind verschont worden.
Katastrophensyndrom
Eine Katastrophe erzeugt einen
besonderen Bewusstseinszustand der betroffenen Menschen,
„Katastrophensyndrom“ genannt. Es sind im wesentlichen psychischen
Reaktionen auf die Zerstörung und besteht aus folgenden Elementen:
Zentralität
Im ersten Augenblick, wenn das
Unheils hereinbricht, glaubt jeder Mensch, dass nur „er und sein Haus“ davon
betroffen sind. Das ist im Falle einer größeren Katastrophe eine
Fehlinterpretation.
Es kommt ein Gefühl der Zentralität
auf: Nur ihm alleine hat das Unheil gegolten.
Der Geschädigte fühlt sich allein
und isoliert. Er könnte glauben nur seine Familie sei betroffen. Daher
müsste der Rest der Welt ihm jetzt sofort zu Hilfe kommen.
Hilflosigkeit
Bei größeren Zerstörungen ist die
sofortige umfassende Hilfe unmöglich. Der betroffene Mensch erkennt
allmählich das das Ausmaß des Schadens. Erkennt, dass Hilfe nicht so schnell
kommen wird. Jetzt entsteht das Gefühl des „im Stich gelassen Werdens“ und
eine tiefe Hilflosigkeit macht sich breit.
Nichtvorhandensein von Emotionen
Die Reaktionen auf seine Umgebung
sind sehr flach, manchmal gar nicht von außen zu erkennen.
Die betroffenen Menschen sind wie
gelähmt, alle nach außen gerichteten Aktivitäten sind stark eingeschränkt.
Es wird kaum gesprochen, Körperbewegungen laufen sehr langsam ab, oft fallen
sie sehr schwer.
Es fällt auch eine besondere
Fügsamkeit auf. Die Menschen nehmen ihre missliche Lage auf sich, zeigen
keinen Widerstand. Ohne viel Murren werden auch sehr unangenehme Situationen
angenommen. Verbunden ist dies mit einer ausgeprägten Anspruchslosigkeit.
Vor der Katastrophe waren die Ansprüche an das Leben sehr groß, jetzt sind
sie auffallend weit zurückgenommen.
Z. B.: Ein Mann, Opfer einer
Überschwemmung, stellt unmittelbar nach seiner Rettung plötzlich keinerlei
Ansprüche an seine Kleidung. Früher war er es gewohnt nur in feinen Anzügen
seinem Beruf nachzugehen. Aber unmittelbar nach seiner Rettung, akzeptiert
dieser Mann sogar, seine nasse, verschmutzte Jean weiterhin zu tragen. Als
ihm ein KIT-Mitarbeiter des Roten Kreuzes eine trockene, saubere Hose zum
Wechseln bringt, lehnt der Mann ab. (Einsatzbericht Mag. Günther Zier,
March-Hochwasser 2004)
Die Menschen in dieser Phase des
Wütens der Gewalten sind benommen, gelähmt, geschockt. Ein emotionaler
Schock trifft die Menschen.
Erklärung: Emotionaler Schock
Kann eine Panik ausbrechen?
Häufig wird angenommen, dass beim
Ausbrechen der Katastrophe eine Panik ausbrechen muss. Dies ist eher selten
der Fall.
Zitat:
„Massenpaniken sind meist Erfindungen von
Medien und werden als Dramatisierungsmittel benutzt. So ist die Darstellung
einer solchen ein Element jedes Katastrophenfilms und vieler
Zeitungsberichte. Sie entsteht aber nicht in jeder Katastrophe. Im
Gegenteil, eine wirkliche Massenpanik passiert nur äußerst selten.“
Zitat:
Rotes Kreuz: Katastrophen. In: ÖSTERREICHISCHES ROTES KREUZ, NÖ (Hrsg.):
Krisenintervention, KIT Lehr- und Lernbehelf. 2004,
Allerdings gibt es Situationen, die
leicht eine Panik auslösen kann: Wenn sich Menschen in einer extremen und
anhaltenden Gefahr befinden, wenn die Opfer das Gefühl haben, in der Falle
zu sitzen und nicht entrinnen zu können, dann ist die Bereitschaft für eine
Massenpanik sehr groß. Allerdings wird sie meistens überschätzt.
Die Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfe wird stärker
Beim ersten Wüten des Unheils hatte
alle Aufmerksamkeit der eigenen Person und den nächsten Angehörigen
gegolten.
Nach diesem ersten schrecklichen
Wüten der Gewalten kommen das Interesse und die Anteilnahme für die übrigen
Leidensgenossen zurück.
Das Gefühl der Hilflosigkeit wird
schwächer und der kräftige innere Impuls Anderen zu helfen und sie zu
unterstützen, drängt sich auf. Die Menschen unterstützen einander, so gut
sie können.
Extreme Reaktionen
Unsoziales Verhalten, Kannibalismus
Manchmal wird der eigene
Überlebensinstinkt sehr stark und das Mitgefühl für andere Menschen wird
zurückgestellt. Dann werden andere Menschen z. B. aus dem Rettungsboot
hinausgestoßen; oder es wird Menschenfleisch gegessen.
Hohe Leistungsfähigkeit
Bei großen Zerstörungen und
Verwüstungen sind die Menschen zu unglaublichen körperlichen
Anstrengungen fähig. Sie sind sehr ausdauernd, sie arbeiten lange Zeit.
Bemerkenswert ist auch eine
Gleichgültigkeit gegenüber ihrer unbehaglichen Lage, die sie unter normalen
Umständen wohl kaum zugelassen hätten.
Wenn das Unheil die Menschen in
Gruppen überrascht hat, entwickeln die Menschen auch ein starkes das Gefühl
der Zusammengehörigkeit und des Miteinander. Die „Schicksalsgemeinschaft“
bindet die Menschen aneinander und bewirkt gegenseitige Hilfe. Allerdings
fühlen sich die Menschen in dieser „Schicksalsgemeinschaft“ zugleich von der
übrigen Welt isoliert.
Führungspersonen bilden sich heraus
Rasch bilden sich Führerfiguren und
erfüllen die wichtigsten Führungsfunktionen: Sie nehmen Verantwortung auf
sich, geben Anweisungen und koordinieren die Aktivitäten der Einzelnen.
Führungsarbeit leisten auch Personen, die im „normalen“ Alltagsleben eher
keine ausgeprägten Führungsrollen innehaben. Wichtig sind praktische
Fähigkeiten, um die Schäden der Katastrophe zu mildern oder zu beseitigen.
Menschen, die jetzt konkret Hand anlegen können, werden zu Vorbildern und
Führungspersonen. |