Krise
Dieser Text beschreibt das Entstehen
einer Krise, die wichtigsten Elemente und zeigt Möglichkeiten, aus der Krise
herauszukommen.
Autor: Mag. Günther Zier,
Psychologe.
Inhalt
Übersicht
Wie entsteht
eine Krise?
Die Zeit vor der Krise
Was ist eine Krise?
Definition „Krise“
Zwei große Komponenten einer Krise
Elemente der Krisensituation
-
Das
bedrohliche Ereignis
-
Der Zustand der Verletzlichkeit
-
Der
auslösende Faktor
-
Die
akute Krise
-
Das Stadium der Wiedereingliederung und der
Krisenbewältigung
(Krisenintervention)

Übersicht
Auf einmal war
alles anders. Die vergangene Nacht war kurz und das Aufstehen eine Qual. Die
Angstträume hängen einem noch nach und bei der geringsten Anstrengung klopft
das Herz und das Blut pocht im Kopf. Plötzlich sieht die Welt bedrohlich aus
und zeigt sich von der feindlichen Seite. Schon seit einiger Zeit gehen
einem „merkwürdige“ Fragen durch den Sinn: „Wo werde ich morgen Geld
bekommen, um etwas Essen zu kaufen? Wie bezahle ich am Wochenende meine
Miete? Wie finde ich einen neuen Lebensgefährten?“ So ähnlich könnte sich
der Alltag abspielen, eines Menschen, der in eine Krise geraten ist. Eine
Lebenskrise ist eingetreten.
Definition "LebensKrise"
Ähnliches, oder zumindest in sehr
abgeschwächter Form, ist jedem Menschen bekannt.
Eine besonders
schwere Krise bezeichnen wir als Katastrophe: Viele Menschen in einem
größeren Gebiet werden von großen zerstörerischen Kräften geschlagen. Link:
Das Wesen einer Katastrophe
Wie entsteht eine Krise?
Was ist eine Krise? Wie ist sie
entstanden und wie reagieren wir Menschen auf eine Krise?
Diese Fragen möchte diese Website
beantworten.
Der Mensch und seine Bedürfnisse
Entbehrungen als Ausgangspunkt der Krise
Der Mensch braucht zum Leben
zahlreiche Dinge: z. B. Essen, Trinken, Schlafen, einen Platz zum Wohnen,
die Zugehörigkeit zu einer Menschengruppe, Anerkennung und Bestätigung von
anderen Menschen, Nachkommen.
Daraus ergeben sich viele
Bedürfnisse und ihre Zahl ist unübersehbar. Jeder Mensch versucht, seiner
Umwelt diese Dinge abzuringen, um seine Bedürfnisse zu erfüllen. Der Mensch
setzt sich zum Ziel, diese Bedürfnisse zu befriedigen.
Werden diese Bedürfnisse nicht
erfüllt, geht es dem Menschen schlecht, es drohen Hunger, Schmerz,
Isolierung und sozialer Abstieg. Verschiedene Entbehrungen müsste der Mensch
ertragen.
Die Aussicht auf diese Zukunft
macht Angst, ist sehr unangenehm und erzeugt eine innere Spannung, die
ausgeglichen werden muss.
Normalerweise gelingt es dem
Menschen, aus seiner Umwelt seine Bedürfnisse zu befriedigen. Der
Mensch erlebt sich als zufrieden und ausgeglichen. Die meisten Bedürfnisse
zur Sicherung seines Lebens werden erfüllt. Es gibt zwar einige unerfüllte
Bedürfnisse, aber damit kann der Mensch leben.
Es ist nicht leicht, sich diese Bedürfnisse zu
erfüllen, brauchen den persönlichen Einsatz des Menschen. Nur im Märchen
„Schlaraffenland“ bedarf es fast keinerlei Anstrengung, „die gebratenen
Tauben fliegen durch die Luft“ und der Mensch muss nur den Mund aufmachen um
sich zu sättigen.
Meistens sind die Menschen in der Lage, diese
Anstrengung zu leisten, und die meisten dieser Anstrengungen werden nicht
als übermäßige Belastung erlebt. Die Existenz kann gesichert werden und
wird vielleicht sogar mit schlafwandlerischer Routine erledigt.
Es funktioniert nicht immer alles problemlos!
Aber es gibt Situationen, da reichen diese
Anstrengungen nicht mehr. Altgewohntes und eingeübtes Verhalten können die
Sicherung des Lebens nicht mehr erreichen. Der Mensch wird mit der
Existenzsicherung und Lebensgestaltung überfordert. Ab diesem Punkt beginnt
die Krise.
Jetzt versucht der Mensch andere Verhaltensweisen,
meist wird das gewohnte Verhaltensmuster mit mehr Nachdruck auf das Problem
angewendet.
Die erste und übliche Strategie heißt „Mehr Desselben
versuchen“. Ohne viel Nachzudenken, werden einfach die bisher gewohnten
Verhaltensweisen eingesetzt, aber etwas kräftiger, etwas mehr, etwas
schneller oder etwas lauter, etc.
Und zur Überraschung des Betroffenen bleibt der
Erfolg aus, das gewünschte Ergebnis wird nicht erzielt. Es stellt sich
zunächst Frustration ein.
Es werden zwar weitere Versuche unternommen, aber es
gelingt damit nicht, wichtige Dinge zur Existenzsicherung aus der
Lebenssituation zu gewinnen. Hab und Gut, oder auch das Leben des
Betroffenen kann in großer Gefahr sein.
Damit hat die Krise einen ersten Höhepunkt erreicht.
Der Mensch steht an, fühlt sich wie vor einer unüberwindbaren Wand. Es ist
keine Lösung zu sehen. Es gibt auch kein Zurück!
Es gibt zwar unklare Ideen, wie diese Wand überwunden
werden könnte. Vollkommen unklar ist es, wie es weitergehen soll. Konkrete
Pläne mit entsprechenden Handlungen werden nicht gefasst.
Drei Möglichkeiten auf die Krise zu reagieren:
-
Jetzt kann der
Betroffene resignieren, in Hilflosigkeit
verfallen und auf Irgendetwas warten; die eigene Lebensgestaltung vollkommen
dem Zufall oder Anderen überlassen. Für manche Menschen erscheint die Lösung
ihrer Probleme aussichtslos und in letzter Konsequenz beenden sie ihr Leben.
-
Die zweite Möglichkeit wäre: Sich selbst zu ändern – indem
neue Fähigkeiten erlernt werden, um damit das anstehende Problem zu lösen.
-
Eine dritte Möglichkeit wäre es, das Problem anders zu sehen,
weniger wichtig zu nehmen. Und zu akzeptieren, dass das auftretende
Bedürfnis nicht erfüllt werden kann. - Andere Interessen können wichtiger
genommen und neue Ziele angepeilt werden. Die Entbehrung ist zwar noch da,
aber ist nicht mehr wichtig.
Die zweite und dritte Möglichkeit kann durch die
Hilfe von anderen Menschen wesentlich erleichtert werden. Weise Menschen,
Therapeuten und Lehrer sind wichtige Quellen, entsprechende Fähigkeiten zu
entwickeln. Dies muss nicht unbedingt im persönlichen Kontakt geschehen,
denn das meiste Wissen der Menschheit ist aufgeschrieben und kann
nachgelesen werden. Trotzdem ist der persönliche Kontakt mit einem
Krisenhelfer der effektivere Weg, eine Krise zu bewältigen.
Lebensprobleme sind alltäglich
In seiner milden Form begegnen uns tagtäglich
Probleme, immer gibt es kleine Hindernisse, die mit den vorhandenen
Fähigkeiten überwunden werden können. Lebensprobleme sind ein Element
unseres normalen Lebens und sind für alle Lebewesen dieser Welt typisch.
„Die Krise ist Teil unseres täglichen Lebens. Wenn sie
erkannt und richtig gehandhabt wird, dann kann das zu unserem Nutzen und
unserer Bereicherung dienen; im anderen Fall kann die Krise sich schwächend
und hinderlich auf unser Dasein und Verhalten auswirken.“ (Francis J. Turner, 1983), Seite 13
Verschiedene Forscher meinen, dass diese alltäglichen
Lebensprobleme ein wichtiger Anreiz für unsere persönliche Entwicklung sind
und unsere Persönlichkeit positiv formen.
„(…) dass menschliches Wachstum gleichzusetzen ist mit
der immer wieder erlebten Bewältigung schwieriger Situationen, wie sie dem
Menschen in jeder Lebensphase begegnen“, (Harriett M.. Bartlett, 1979)
Vor der Krise, die Überforderung
Krise entsteht aus einer Überforderung
(Erklärung "Überforderung")
Schon lange vor dem Krisenhöhepunkt tauchen Vorboten
der schwierigen Lebenssituation auf. Allerdings werden sie nicht richtig
verstanden, möglicherweise sogar geleugnet. Rechtzeitige, vorbeugende
Maßnahmen werden nicht ergriffen, weil andere Dinge als wichtiger
erscheinen.
In der Zeit vor der Krise ist schon die Überforderung
sichtbar!
Die Vorboten der Krise werden mangels Durchblick und
Fähigkeiten nicht erkannt. Der Betroffene hat sich vielleicht lange Zeit vor
der Krise gedacht, die aktuelle Lebenssituation könnte endlos so
weitergehen. Die eigene Überforderung wird nicht wahrgenommen oder geleugnet
und es wird sehr lange von den Reserven gelebt.
Es gibt auch die "Mich wird es nicht treffen Haltung"!
Die Vorzeichen der Krise werden zwar gesehen, aber mit dieser Einstellung
wird so getan, als ob der Mensch gegen bedrohliche Lebensumstände
unempfindlich wäre.
Leider ist sehr schwer, vorbeugend die richtigen
Maßnahmen die Krise abzuwehren. Unser Leben ist sehr kompliziert,
vielschichtig und nur mit großer Unsicherheit vorherzusagen. (Dietrich
Dörner, 1989)
Dörner meint auch, wir Menschen wären in unsere
Entwicklungsgeschichte immer nur "ad hoc - Problemlöser": Aus einer
gegebenen Situation würden Entscheidungen getroffen, die in die absehbare
Zukunft (z. B. bis zum nächsten Winter) wirkten. Aber es fällt uns sehr
schwer, perfekt auf die weitere Zukunft ausgerichtete Entscheidungen zu
treffen.
Was genau versteht man unter „Krise“
Eine Krise ist ein sehr umfangreiches Geschehen, mit
komplizierten Vorgängen. Gerade diese undurchsichtigen, unerwarteten
Vorgänge verursachen eine Krise. Es fällt dem Einzelnen sehr schwer, die
Abläufe und Teile einer Krise zu überblicken und rechtzeitig etwas dagegen
zu tun.
In der Folge werden die gewohnten und bisher
bewährten Verhaltensweisen sehr stark gestört.
"Alltagssprachlich ist mit dem Wort Krise eine schwierige,
gefährliche Entwicklung, Zuspitzung oder Verschärfung, eine Entscheidungs-
oder Ausnahmesituation gemeint. Dies kann sich auf gesellschaftliche oder
individuelle Prozesse bzw. Zustände beziehen: Nah-Ost-Krise, Kubakrise,
Wirtschaftskrise, ökologische Krise, Midlife-crisis, Sinnkrise usw. " (Monika Schnell und Helmut Wetzel, 2000) Seite 1696
Definition Krise
Der Wiener Psychiater Hans
Strotzka nennt eine exzellente Definition von „Krise“:
„Unter Krise wird im allgemeinen ein Zustand einer Person
oder einer Gruppe verstanden, in dem eine akute Belastung die Grenze der
Bewältigungsfähigkeit entweder schon überschritten hat oder zu überschreiten
droht.“ (Hans Strotzka, 1982)
Eine weitere Definition ist auch
sehr hilfreich:
"(...) Caplans Äußerung: (...), wonach »eine Krise
entsteht, wenn ein Mensch sich auf dem Weg zu wichtigen Lebenszielen einem
Hindernis gegenübersieht, das er im Augenblick mit seinen üblichen
Problemlösungsmethoden nicht bewältigen kann«5." (Naomi Golan,
1983a), 61
Es gibt viele andere Definitionen:
Definition "Krise"
Grundstruktur einer Krise
Es werden zwei große Komponenten einer
Krisensituation unterschieden
Zum Verstehen einer Krise und für die wirksame Hilfe
in einer Krise muss unterschieden werden:
a) Das Ereignis,
das den Betroffenen das Leben schwer macht. Das kann z. B. sein: Ein eigener
Unfall, eine schwere Krankheit, der Verlust eines nahestehenden Menschen,
eine Naturkatastrophe die Hab und Gut zerstört.
b) Die persönliche
Reaktion auf die Krise.
Es ist das Erleben der
Krise, seine Gefühle und Verhaltensweisen, mit der Krise fertig zu werden.
Die persönliche Reaktion
auf die Krise ist ein wichtiger Teil dieses Textes, auf Details wird noch
ausführlich eingegangen.
Wichtig ist die klare Trennung dieser beiden
Komponenten.
Beide Elemente sind getrennt zu betrachten. Besonders
bei der Planung von Hilfsmaßnahmen ist eine klare Trennung sehr wichtig,
weil jede Komponente völlig andere Hilfe und Gegenmaßnahmen braucht.
Die beiden Komponenten der Krise sind nicht
unabhängig, sie beeinflussen sich wechselseitig. Das auslösende Element
wirkt sehr stark auf den Betroffenen, denn immerhin wurde er dadurch in die
Krise gebracht.
Auch gibt es für die verschiedenen Komponenten
vollkommen getrennte Organisationen. Zum Beispiel: Zur Abwehr von
elementaren Schadereignissen (Katastrophen, Zerstörungen, Unfälle) wird oft
die Feuerwehr gerufen. Im Kriegsfall versucht das Militär den Aggressor
zurückzudrängen. Bei Krankheiten kann das medizinische System (Ärzte,
Krankenhäuser, Medikamente, Rehabilitationszentren) helfen.
Aber zur Unterstützung der Betroffenen und
Wiederherstellung des Wohlbefindens bedarf es eine völlig andere
Vorgangsweise, daher sind damit Psychologen, Psychiater, Sozialarbeiter,
auch Pädagogen mit dieser Aufgabe betraut.
Das Rote Kreuz nimmt eine Sonderstellung ein, weil es
gegen beide Komponenten wirksame Hilfe leisten kann.
Grundideen zum Konzept „Krise“
Die Grundgedanken des Konzeptes „Krise“ sind
verhältnismäßig einfach und lassen sich gut erfassen: Die verschiedensten
Probleme, Notsituationen und persönlichen Wandlungen lösten bei den
Betroffenen ziemlich ähnlich Reaktionen aus. Sie sind auch ähnlich in ihrem
zeitlichen Verlauf. Die meisten menschlichen Krisen verlaufen nach einem
ziemlich ähnlichen Bauplan.
" (Veronika
Kircher, 1983), 7
Genaueres, wie Forscher den Bauplan einer Krisen
sehen:
Grundkonzept "Krise" in 10 Punkten
Die Elemente der Krisensituation
Literatur:
Golan, Naomi,
Krisenintervention (Treatment in crisis situations, dt.). Strategien
psychosozialer Hilfen,
Freiburg Br: Lambertus-Verlag, 1983.
Als Krisensituation wird
die Gesamtheit der Ereignisse von Beginn an der Krise bis zur Rückkehr zu
einem ruhigen, normalen Lebensverlauf benannt.
Die fünf Phasen einer Krisensituation sind:
«
das bedrohliche Ereignis,
«
der Zustand der Verletzlichkeit,
«
der auslösende Faktor,
«
die akute Krise und
«
das Stadium der Reintegration oder der Krisenbewältigung.
Diese Phasen überschneiden sich
und lassen sich nicht vollständig voneinander abgrenzen. Aber damit das
Phänomen ‘Krise’ begreifbar und erklärbar wird, sollen diese Phasen
unabhängig voneinander betrachtet werden.
1. Das bedrohliche Ereignis
Mitten im ruhigen, gelassenen
Lebensverlauf tritt ein „Schlag“ auf, eine Katastrophe oder ein anderes
höchst unangenehme Ereignis, z. B. Unfall, Unwetter, Verlust des
Arbeitsplatzes.
(Siehe Tabelle mit den „Live-Events“
Link: Live-Events
).
Eine Bedrohung wird war und wird schmerzhaft
erlebt!
Auch durch einen inneren Wandel
kann der Mensch in eine gefährliche Situation kommen, meist sind dies
normale menschliche Entwicklungsschritte, die plötzlich neue Anforderungen
an die Lebensvollzüge stellen, z. B. Geburt eines Kindes, Pubertät, Heirat,
plötzliche Krankheit, Pensionierung und Ähnliches.
In der Rückschau auf die
Krisensituation kann das bedrohliche Ereignis identifiziert werden. In den
meisten Fällen ist dem betroffenen Menschen bekannt, was ihm aus dem Gleis
geworfen hat.
Zitat: „Der
Klient, der zum ersten Gespräch kommt, ist vielleicht nicht imstande zu
sagen, »wann das Ganze angefangen hat«; man sollte aber doch so etwas wie
einen Anfangspunkt »festsetzen«, um die nachfolgenden Veränderungen, die den
Menschen und seine Situation betreffen, auf diesen Punkt beziehen zu
können." (Naomi Golan, 1983b), Seite 64
Möglicherweise war das bedrohliche
Ereignis vorhersehbar, wie es bei menschlichen Entwicklungsstadien der Fall
ist – aber es wurde nicht rechtzeitig darauf reagiert. Allerdings treten die
meisten Schicksalsschläge unerwartet auf und treffen den Betroffenen völlig
unvorbereitet – auch wenn Andere das Verhängnis schon kommen gesehen haben.
Link:
Bedrohliche Ereignisse können mit oder ohne Vorwarnung eintreten
2. Der Zustand der Verletzlichkeit
Der Mensch erlebt sich sehr
verletzlich und angegriffen. Es ist die persönliche Reaktion des Menschen
auf den Schlag, der ihn getroffen hat. Der Mensch spürt Angst und macht sich
Sorgen um seine Zukunft. Möglicherweise spitzt sich die Situation zu und der
Mensch gerät in eine ernsthafte Desorganisation und Kopflosigkeit.
Wird die Krise als besonders
schmerzhaft erlebt, holen sich viele Betroffene von Außenstehenden Hilfe.
3. Der auslösende Faktor
Der auslösende Faktor ist der
Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, es treibt die Spannung und
Angst auf ihren Höhepunkt.
Zitat: „Der auslösende Faktor ist das,
was eine emotionale Krise in Gang setzt,
den Beginn eines seelischen Zusammenbruchs signalisiert
oder
sogar zum letzten Grund, der zum Selbstmordversuch führt.“
(Peter Sifneos, Harvard University Press, 1972, zit. Noami Golan)
Jeder Mensch wird im Laufe des
Lebens mit kleinen oder größeren schmerzhaften Schicksalsschlägen
konfrontiert. All diese Ereignissen sind verschieden schwer zu verkraften
und kleinere Schläge werfen den Betroffenen nicht gleich aus der Bahn.
Aber viele kleinere Schläge
sammeln sich an und die Belastungen werden zusammengezählt. Wenn nämlich ein krisenauslösendes
Geschehen auf das andere folgt,
werden die noch vorhandenen Bewältigungsmechanismen geschwächt und der
Mensch ist weiteren Schicksalsschlägen immer wehrloser ausgesetzt.
Es kann aber durchaus sein, dass
einer Krise keine Vorlaufzeit vorausgeht. Manche Schicksalsschläge sind so
überwältigend, dass sie sofort eine sehr schwere Belastung herbeiführen:
Plötzlich und unvorbereitet erfährt der Betroffene einen schweren
Schicksalsschlag. Das Ereignis ist so stark, dass der Betroffene
augenblicklich aus dem Gleichgewicht gerissen wird und ihn sofort in den
Zustand der akuten Krise zu versetzt.
Beispiele:
Der Tod des Ehemannes ist eine
sehr heftige Erschütterung. Sie reicht aus, die Frau sofort in inneres
Ungleichgewicht zu stürzen.
In einem anderen Fall kommt eine
ganze Reihe von Belastungen zusammen, ehe es zur akuten Krise kommt:
-
der Mann hat seine Stelle verloren
-
die Frau ist krank geworden
-
sie haben Schwierigkeiten mit den
Schwiegerfamilien
-
und schließlich hat der heranwachsende Sohn
die Familie verlassen.
Einzeln könnten diese Ereignisse
vielleicht angemessen bewältigt werden,
aber alle zusammen sind sie eine schlimme Belastung. Dadurch wird der Mann
in eine Krise geworfen und er bittet um Hilfe.
Siehe auch
Link: Live-Events
4. Der Zustand der akuten Krise
Der schmerzhaft erlebte Druck der
Krise schreit nach Veränderung und Verbesserung. Die persönliche und/oder
berufliche Situation ist unerträglich geworden. „Bis hierhin und nicht
weiter, es muss anders werden, koste was es wolle!“ ist das Motto eines
Veränderungsprozesses, der nicht mehr vollkommen bewusst gesteuert wird –
sondern: Aus! – es geht einfach nicht mehr anders!
In dieser Zeitspanne zeigt der Mensch eine Reihe
vorhersagbarer Reaktionen:
Zunächst befindet sich der Betroffene in Aufruhr. Ziellos
werden alle möglichen Aktivitäten gestartet.
Auch das Gegenteil kann eintreten: der Betroffene ist vollkommen »gelähmt«;
seine Stimmung, sein Geist und sein Verstand sind gestört.
Gleichzeitig zu diesem Tumult
kommt es zur schmerzlichen Beschäftigung mit den Ereignissen, die den
Zustand der Krise herbeigeführt haben.
Zwei Formen der akuten Krise werden unterschieden.
Es sind zwei verschiedene
Prozesse, die zur Krise führen und die laufende Krise völlig verschieden formen:
(nach Naomi Golan, 1983c, Seite 70)
+
Erschöpfungskrise
Bei der Erschöpfungskrise
hatte der Mensch unter Umständen die Dinge eine Zeitlang im Griff, auch wenn
es schwierig war. Aber jetzt hat er nicht mehr genügend Kraft, und plötzlich
kommt er an den Punkt der Erschöpfung. Seine Bewältigungsmechanismen
scheinen zusammenzubrechen.
+
Schockkrise
Bei der Schockkrise bewirkt
ein plötzlicher auftretender Schicksalsschlag (z. B. Verlust eines geliebten
Menschen) einen schweren seelischen Schmerz.
Ohne Vorwarnung, gerät der/die Betroffene in einen
emotionalen Schockzustand. (Siehe: Erklärung zu Schock:
Erklärung: "Emotionaler Schock"
In der Phase des emotionalen
Schocks sind die Fähigkeiten des Betroffenen sehr stark eingeschränkt und
brauchen besondere Hilfe. Auch hier gilt: Je früher die Hilfe einsetzt,
desto weniger schmerzhaft ist die Krise und um so leichter ist die Krise zu
überwinden.
5. Die Phase der Wiedereingliederung
In dieser Phase des Krisenverlaufs
ist eine Krisenintervention eine wichtige Hilfe. Daher wird das Thema
„Krisenintervention“ in einem eigenen Kapitel behandelt.
Da der Zustand der inneren Unruhe
und Krise nicht allzu lange fortbestehen kann,
muss eine neue Form der Anpassung gefunden werden.
Angestrebt werden gesunde und
integrative Anpassungen, die sehr oft auch gelingen. Aber es sind auch
falsche und sogar zerstörerische Anpassungen möglich.
Spannung und Furcht lassen
allmählich nach und der Mensch ist wieder in der Lage entsprechend der
Erwartungen wieder zu funktionieren.
Möglicherweise ist es dem
Betroffenen sogar gelungen, aus der Krise heraus seine Lebenssituation zu
verbessern. Die Krise war möglicherweise hart und schmerzhaft, aber ihre
Überwindung hat dem Betroffenen einiges beigebracht – die neuen Fähigkeiten
helfen, das Leben angenehmer zu gestalten.
Literatur:
Bartlett, Harriett M.,
Grundlagen beruflicher Sozialarbeit (The common base of social work
practice, dt.). Integrative Elemente einer Handlungstheorie für
Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, Freiburg Br: Lambertus, 1979.
Dörner, Dietrich,
Die Logik des Misslingens- Strategisches Denken in Komplexen Situationen1989.
Francis J. Turner,
"Vorwort zur amerikanischen Ausgabe," Krisenintervention, Strategien
psychosozialer Hilfen, Lambertus-Verlag: Freiburg Breisgau, 1983,.
Golan, Naomi,
Krisenintervention (Treatment in crisis situations, dt.). Strategien
psychosozialer Hilfe, Freiburg Br: Lambertus-Verlag, 1983a.
Golan, Naomi,
Krisenintervention (Treatment in crisis situations, dt.). Strategien
psychosozialer Hilfen, Freiburg Br: Lambertus-Verlag, 1983b.
Golan, Naomi,
Krisenintervention (Treatment in crisis situations, dt.). Strategien
psychosozialer Hilfen, Freiburg Br: Lambertus-Verlag, 1983c.
Kircher, Veronika,
"Vorwort zur deutschen Ausgabe," Krisenintervention, Strategien
psychosozialer Hilfen, Lambertus-Verlag: Freiburg Br, 1983, 256.
Monika Schnell und
Helmut Wetzel, "Krisenintervention und -therapie," Band 1
CD-ROMDirectmedia Publishing GmbH: Berlin, 2000, 1696-1719.
Strotzka, Hans,
Psychotherapie und Tiefenpsychologie- ein Kurzlehrbuch,
Wien [u.a.]: Springer, 1982
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